Ab dem 01.08.2013 haben alle Kinder ab dem vollendeten
ersten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz in
Kindertagesstätten oder in Tagespflege von täglich mind. vier Stunden an
fünf Tagen die Woche (§ 24 Abs. 2 i. V. m Abs. 1
S. 3 SGB VIII). Ungeachtet
der Tatsache, dass die Städte und Gemeinden in den letzten Jahren beim Ausbau
der Betreuungsplätze für unter Dreijährige bereits große Fortschritte erzielt
haben und seit 2006 zusätzlich 270.000 Plätze geschaffen haben, ist trotz dieses
Engagements nicht auszuschließen, dass möglicherweise nicht allen Kindern ein
Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt werden kann. Vor diesem Hintergrund
haben die beiden kommunalen Spitzenverbände, Deutscher Städtetag und Deutscher
Städte- und Gemeindebund, zwei Gutachten zu möglichen rechtlichen Folgen und
Ansprüchen an die Städte und Gemeinden im Fall einer nicht vollständigen
Umsetzung des Rechtsanspruches erstellen lassen, deren wesentliche Aussagen im
Folgenden zusammenfassend dargestellt werden:
Erfüllt der Träger der öffentlichen
Jugendhilfe den Rechtsanspruch nicht rechtzeitig, können die Sorgeberechtigten
die Zurverfügungstellung eines Platzes einklagen (Primäranspruch). Die Zurverfügungstellung eines Platzes ist im
Wege der allgemeinen Leistungsklage geltend zu machen. Bekommt das Kind nicht rechtzeitig einen zumutbaren Platz
angeboten und entsteht dadurch dem Kind oder den Sorgeberechtigten ein Aufwand
und/oder Schaden, kann ein Haftungsanspruch geltend gemacht werden (Sekundäranspruch).
Es besteht allerdings die Pflicht zu wirtschaftlichem Handeln und zur
Schadensminderung.
Im Interesse einer bedarfsgerechten Planung ist es legitim, wenn verlangt wird, dass die Sorgeberechtigten ihre Absicht der Inanspruchnahme eines Platzes rechtzeitig vorher bekannt geben. Nach grundsätzlichen Maßstäben erscheinen drei, in der ersten Zeit nach dem 01.08. auch bis zu sechs Monate angemessen. Geregelt werden kann dies über die Satzung bzw. Benutzungsordnung.
Zwar haben Eltern das Recht, für ihr Kind eine Tageseinrichtung oder Tagespflegestelle zu wählen, die ihren Vorstellungen und ihrem individuellen Bedarf am ehesten entspricht. Allerdings steht das Wunsch- und Wahlrecht unter dem Vorbehalt, dass in der gewünschten Einrichtung bzw. Kindertagespflegestelle freie Plätze zur Verfügung stehen. Krippenplätze und Tagespflegeplätze werden dabei als gleichwertige Angebote betrachtet. In jedem Fall hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Pflicht, ein in Bezug auf Ortsnähe und pädagogische Qualität zumutbares Angebot zu machen. Außerdem kann der individuelle Bedarf nur innerhalb des Spielraums anerkannt werden, den das fachliche Profil der Leistung (wie zum Beispiel Mindest- und Höchstbetreuungszeiten) und unter Beachtung des Kindeswohls eröffnet.
Die ausdrückliche Nichtanerkennung oder Nichtberücksichtigung eines individuellen Bedarfes erfolgt als ablehnender Verwaltungsakt. Die Entscheidung des örtlichen Trägers ist mit einer Verpflichtungsklage gerichtlich überprüfbar.
Da die Erfüllung des Rechtsanspruchs aufgrund der Dauer verwaltungsgerichtlichter Verfahren gefährdet sein kann, besteht auch die Möglichkeit der einstweiligen Anordnung gem. § 123 VwGO. Ein Anspruchsgrund ist z. B. anzunehmen, wenn den Sorgeberechtigten andernfalls die Möglichkeit entgeht, berufstätig zu sein.
Kann aufgrund einer Nichterfüllung des Rechtsanspruches eine Arbeitsstelle nicht angetreten werden, etwa nach der Elternzeit, so ist der Verdienstausfall zu ersetzen. Die Sorgeberechtigten haben die Beweislast für den Nachweis, dass sie eine Stelle tatsächlich hätten antreten können.
Die Sorgeberechtigten haben das Recht auf Selbstbeschaffung und auf Ersatz der Aufwendungen. Bei einer zulässigen Selbstbeschaffung ist der tatsächlich entstandene Aufwand zu ersetzen. Auch hier gilt die Pflicht zu wirtschaftlichem Handeln und zur Schadensminderung. Übernehmen Großeltern, andere Verwandte oder Bekannte die Betreuung nicht unentgeltlich, können die Kosten erstattet werden, auch wenn sie nicht über die erforderliche Qualifikation verfügen, sofern sie als dem Kindeswohl nicht widersprechende Betreuung anzusehen sind. In jedem Fall müssen die Eltern nachweisen, dass sie den Betreuungsbedarf rechtzeitig mitgeteilt haben und dass die Bedarfsdeckung unaufschiebbar ist. Von den Aufwendungen für die selbstbeschaffte Tagesbetreuung ist der Betrag abzuziehen, den die Eltern als Kosten- bzw. Teilnahmebeitrag für eine öffentlich geförderte Förderung hätten entrichten müssen.
Wird ein geeigneter Platz erst verspätet zur Verfügung gestellt und ist das Kind bereits in einer selbstbeschafften Tageseinrichtung oder Tagespflege, ist zumindest ein sofortiger Wechsel aus Gründen des Kindeswohls unzumutbar. Die Aufwendungen sind solange weiterhin zu erstatten, bis ein Wechsel, etwa im Rahmen eines altersbedingten Übergangs, zumutbar wird.
Wenn die tatsächliche Nachfrage nach Betreuungsplätzen höher ist als bei sorgfältiger Bedarfsplanung ermittelt, schränkt dies die Pflichten zur Erfüllung des Rechtsanspruches nicht ein, denn das SGB VIII fordert, Vorbereitungen auch für den unvorhergesehenen Bedarf zu treffen.
Sofern kein beliebiger zumutbarer Platz zur Verfügung steht, besteht zwar kein Anspruch auf die Schaffung neuer Plätze. Allerdings müssen alle tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft sein, z. B. muss ggf. eine Ausnahmegenehmigung eingeholt oder eine Erweiterung der Pflegeerlaubnis bei Tagespflegestellen ausgesprochen werden.
Bei bestehendem Fachkräftemangel kann u. U. das Verschulden entfallen, wenn der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nachweisen kann, dass er die räumlichen Voraussetzungen geschaffen hat, sich nachhaltig erfolglos um Fachkräfte bemüht und rückblickend auf längere Sicht alles getan hat, um Tagespflegepersonen zu gewinnen und zu schulen.
Übrigens: Entgangene Freizeit ist kein Schaden.
Im Auftrag
Thomas Schrader